Demonstrandum.

Der Kirchturm, wieder habe ich mich hinauf gewagt. Unten liegt der Marktplatz da als quadrierter Sternenhimmel. Fackeln leuchten. »Oder sind es Laternen«, meint der Faun und lehnt sich so weit über die Brüstung, dass der Zentaur ihn festhalten muss: »Wie oft haben wir das gesehen, die Reden, das Schwenken der Plakate, die Parolen, Sprechchöre und die Hände, die sich ins Firmament schrauben, wo doch nur Planeten irren.« – Die Monster sind aufgebracht, es liegt etwas in der Luft. Die Demonstrationen häufen sich. Die Blicke gehen hin und her, ohne Halt zu finden, der Greif schlägt mit den Flügeln, der Ziegenwolf scharrt mit den Hufen.

Ich setze an zu einer beruhigenden Rede, aber, unsicher, welche Bahn ich einschlagen soll, breche ich schnell wieder ab. Man möchte den Faun an den Hörnern packen, der unablässig hin und her trippelt. »Es wird sich zeigen«, sagt der Zentaur, »erst werden Fahnen geschwenkt, dann Menschen gehängt.« Nicht einmal die Affen lachen. »Wir sind ziviler jetzt«, sagt der Greif. So hofft jeder auf seine Weise. Unten indes potenziert sich der Lärm, Blaulicht lodert auf. Bald wird kein Halten mehr sein. »Eine einfache Gleichung: wenn man das Problem nicht an der Wurzel packt, wird man es niemals los – « Alles weitere geht unter im Tumult, in dem der Marktplatz nun versinkt.

Helikopter schrauben sich näher wie tausend galoppierende Rosse, wir suchen nach Deckung, wir schreien, doch ist es schon zu laut für Worte, Scheinwerfer streuen ihre Maße aus; wir erstarren: Federn zu Granit, Fleisch zu Basalt, Fell zu Sandstein. Man kann nicht fliehen, man kann nicht entkommen. Wir alle leben unter dem Unstern, unter diesen Vorzeichen, es gibt keine Flucht. Ein Abkommen besiegelte mein unwahrscheinliches Schicksal und stieß doch die Türen weit auf in unbekannte Räume; so lebt die Republik hin, aber es geschieht, was wahr ist, und soll die Welt drüber vergehen.

Verreisen.

M. und ihre Postkarten: jahrlang hab ich von ihr keine mehr bekommen; und dann heute diese unter ganz anderem Vorzeichen. Ich drehe und wende die Karte in den Händen. Eine Abbildung des Châteaus in der französischen Provinz. Nachdem der Onkel gestorben ist, haben die Zwillinge das Anwesen zum Hotel umgebaut. Auf dem Bild ist davon nichts zu sehen, ruhig schiebt sich der Wald ins Gemäuer hinter dem melancholischen Wassergraben. Die ganze Kommune arbeitet nun im Fremdenverkehr. M. schreibt von den Pferden, dem Weinberg, dem preisgekrönten Tomaten, den Windmühlen; die Jungs sind herangewachsen und strapazieren die Mütter nach allen Regeln der Kunst. So dicht beschrieben ist die Rückseite, dass nicht ein einziger Buchstabe noch hätte Platz finden können.

M. ist mit dem Kind alleine gereist, für mich war kein Visum zu bekommen. Mir ist Ferne immer abscheulich. Verreisen ist zwecklos, man kann doch nirgendwo ein anderer sein. Nur erzwungene Reise bringen Erfahrung; wie der Rauswurf von der Insel, das Herumirren, das Anlanden schließlich hier im Haus am Hang. Wir warten ungeduldig auf Nachricht, und erhalten wir sie, sehnen wir uns nach dem Warten. Der Tag hat gerade erst sein Maul aufgerissen. Mich treibt es nach draußen. Alle Gassen der Stadt durchjage ich, als müsste ich verschwinden, würde ich einmal innehalten und mich nicht ganz nach dem Wind richten. Erst als die Sonne sinkt, kehre ich zurück. Ich öffne einen Romorantin, geselle mich zu den Eseln, es fehlt wenig, dass ich die Standarte hervorkrame und einen Feldzug beginne.




Insolvenz.

Jeden Tag decken wir den Tisch, die Gäste aber bleiben aus. Die ganze Küchenbrigade wartet vergeblich auf eine Aufgabe. Alles ist bereit, das Porzellan gewärmt, das Gemüse gegart, die Sauce brodelt auf dem Herd vor sich hin. Der Service zupft an der Tischdecke, arrangiert das Besteck um, poliert die Gläser, bis das Glas bricht. Ich gehe vor dem Restaurant auf und ab, spähe die Gasse hinunter: niemand kommt. Durch Türen und Fenster heult unablässig der Wind. Vereinzelt wanken Schatten heran wie Diebe in der Nacht; sie essen gut, bloß sie zahlen nicht. Wir lassen sie ziehen, denn wären wir nicht Wirte, wir wären gar nichts mehr.

Unter meiner Leitung löst sich unaufhaltsam, langsam alles auf. Schon schließen wir das Restaurant. Niemand gibt mir die Schuld, nicht das Personal, nicht die Lieferanten, nicht die Investoren. Vielmehr finden sie Lob für meine Arbeit. Selbst die Gläubiger applaudieren, als sie die Kücheneinrichtung abtransportieren, die Möbel, den handverlesenen Wein. Bald ist alles ausgeräumt, M. und das Kind wandern durch die leeren Räume. Für einen Moment ist es so still, dass man bersten möchte. »Es wird Zeit, dass L. und C. aus der Hütte am Hang ausziehen«, sagt M., »sollen sie doch hier wohnen, wenigstens den Winter über, ehe sie sich noch in Käfer verwandeln.«

Der Februar bringt dann pflichtbewusst die Flut, der Fluss verschlingt die Landstraße. Den Wanderern, die über den Berg kommen, ist der Weg in die Stadt abgeschnitten. Nicht lange, da klopft es bei L. und C. an: C. winkt Jung und Alt zur Tür hinein und L., froh, dass auch das Büro unerreichbar ist, bewirtet sie, während die Zeit stockt. Die Esel müssen den Wintergarten räumen; C. richtet dort ein Schlaflager ein. Und ich stehe wieder in der Küche und klappere mit den Töpfen, als sei nichts geschehen; M. jongliert Kind und Champagner. Es dauert Tage, bis das Wasser zurückgeht und die Schar der Gäste sich wieder auflöst. Der Schlamm ist kaum getrocknet, da setzt der endlose Verkehr auf der Landstraße wieder ein.