Böse Blicke.

Dann, in der Dämmerung, sitze ich bei den Dämonen. Ich kletterte den Turm hinauf, hangle mich an den Wasserspeiern, an Hörnern, Bärten und Klauen entlang, niste mich schließlich ein in einer Nische zwischen den freundlichen Fratzen. Grimassen sind wir, Drachen, Affen, Monster aller Art. Hier ist unser Refugium, die letzte Zuflucht der Chimären. Auch diese Nacht wieder wird beherrscht von Übermut, es ist ein ewiges Necken, ein Jagen und Nachstellen. Ich kraule dem gurrenden Löwen die Flanke, der Hund zieht die Lefzen zurück, schnappt plötzlich nach dem Ziegenwolf, der panisch ausschlägt. Drüben wollen die Zentauren die Horde Affen abschütteln, der Faun zwickt den schlafenden Greif in die Schlappohren.

So ächzt es und stöhnt, es kracht und lärmt über den Dächern. Den Trinkern fallen die Würfel aus dem Bart, wilde Flüche steigen auf, als der Regen dann in Strömen kommt. Wir aber reinigen das Wasser, das vom Himmel fällt, lassen Blitz und Donner im Kanal verschwinden. Hier oben, allen abschätzigen Blicken verborgen, treiben wir unser Spiel. Unter uns der Marktplatz, wo sich am Brunnen gerade jemand in Ruhstand setzt mit einer Nadel bloß, wo die Schatten wanken. Sinnloses Spektakel im Schutz der Dunkelheit, das der kleine Affe spöttisch begleitet, bis die Sonne dann den letzten Stern auswischt.

Im Morgen gähnt drunten das Pflaster, blank und ebenmäßig. Die Kehrmaschine bürstet vor sich hin. Ein Rinnsal Unrat, Zigarettenkippen, Glas. Die Ratten flitzen in ihre Löcher zurück, als der Falke aufsteigt. Es entfaltet sich langsam die Geometrie der Schirme und Tische. Schwarz auf Weiß füllen sich die Tafeln mit Angeboten des Tages. Erste Besucher blinzeln gegen die Sonne, sinken auf die Stufen nieder. Der Brunnen ist schon stillgestellt und abgedeckt. Auch der nackte Leib, Stein des Anstoßes, ist im Museum hinter Glas verschwunden. Man hievt eben noch die frisch bescheinigten Leichen in den Lieferwagen, ehe sich der Vorhang ganz gehoben hat.

Die Bühne ist bereitet, doch steht der Drache senkrecht, regungslos in der Wand, auch der Ziegenwolf schnarcht schon, es ist kein Anblick für die Götter. Niemand macht sich drunten mehr die Mühe, sein Glück zu mimen, stur starrt man in seine Tasse. Die idiotischen Tauben drehen ihre Kreise zwischen den Stühlen. Man macht große Bogen um einander, duldet gerade noch die eigene Schwere. Das große Theater ist auf den Hund gekommen, ein schlampig inszeniertes Stück, und bald vergeht uns die Lust am Zuschauen. Nur der Faun tigert auf und ab, stürzt fast über die Brüstung, als er sich zu weit hinunterlehnt.

Der Faun, auf seine alten Tage hin nostalgisch: Es hat eine Zeit gegeben, da war man nicht zum Nichtstun verbannt gewesen. Nun aber scheint es, als ob der Turm mit jedem Jahr weiter in die Höhe wächst. Ein Glück, raunt der Greif. Bald werden sie auch uns abschaffen, die letzten Bilder des Lebens stürmen. Aber noch hüllt uns der Nebel ein, noch trägt der Wind unsere Verwünschungen ungehört fort in die Ebene. Doch nur ein verirrter Blick hinauf, ein erschrockenes Wort, und wehe uns. Da stützt auch der Affe den Kopf in die Hände, stiller werden wir, bewegungslos, mit leeren Augen erwarten wir das uns zugedachte Schicksal.

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