Erwartung.

Sie wird ja doch nicht kommen. Ich hatte getan, was ich konnte, aber sie kam nicht. Dabei waren alle Türen weit geöffnet, die Fenster klapperten im Wind, die Schlüssel steckten in den Schlössern. Es war alles vorbereitet, doch nichts passierte. Das Kerzenlicht flackerte im Luftzug, auch die Nacht war pünktlich zur Stelle, nur ich wartete noch immer.

Jeder hatte heute einen Ort, wo er hingehörte, wo aber war mein Platz? Ich kippte die Fenster, ließ den Rolladen halb hinab. Noch immer keine Schritte auf dem Gang, ich zog Schlüssel um Schlüssel ab und fügte sie dem Bund hinzu, der mir klirrend kalt in der Hand lag. Nur die Eingangstür ließ ich, nach kurzem Zögern, noch einen kleinen Spalt offen.

Ich löschte nach und nach das Licht, wusste nicht, wohin mit mir, tastete mich weiter endlos durch die Dämmerung. Irgendwann musste sie kommen, wie könnte es anders sein, und dann würde es mit einem Male erträglicher, der Wald licht, friedlich die Krähen auf den Dächern: ein Wort und alles wäre hell unter den stillen Sternen.

ein wort

Hinterhältig fiel die Tür ins Schloss, tilgte auch noch den letzten Lichtstrahl aus dem Treppenhaus. Wenn ich mich auf den Boden legte, was anderes blieb mir übrig, glaubte ich, Stimmen zu hören, erstickte Schreie und ferne Musik. Von der Welt vergessen, verschluckt von der Nacht, zu nichts nütze, aber noch immer lauschte ich und hoffte? –

Da war ich zum Fenster geflogen, sie war es, ein Wink und ich eilte hinab, leuchtenden Augen entgegen. »Ich dachte schon, du wärst ohne mich gegangen.« »Wie könnte ich ohne dich gehen, ewig will ich warten«, empfing ich ihre Hand. Die Gasse tat sich schwarz und undurchdringlich vor uns auf; heute aber würde sie mir nichts anhaben können.

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Entschuldigung.

Belämmert, die sind doch alle belämmert, wie Schafe auf der Weide, die vor sich hin blöken: Mäh, mäh, mäh. Also ich hab ja keine Zeit, einfach mal so aufs Land zu fahren, aber das ist es doch, was auf den Schafwiesen vor sich geht, man steht rum, glotzt, blökt. Einer muss es sagen, ich tue es, die, die was anderes sagen, sind doch alle belämmert. Wir wollen das bloß nicht sehen, dabei sind das Tiere, ich habe die Augen eines Adlers, mir entgeht nichts. Die werden hier alles abgrasen, wenn man nichts unternimmt. Gewalt ist nicht meine Welt, aber man wird sich wohl noch wehren dürfen, nicht meine Schuld, dass die anderen solche Opfer sind und nicht handeln wollen. 

So Suaden sind sonst natürlich gar nicht meine Sache, aber man zwingt uns doch dazu. Ich hab da viel drüber nachgedacht und die bringen mich noch um meinen sauer verdienten Schlaf, nicht mal vor meinen Träumen machen sie Halt, vor nichts schrecken die zurück, aber nicht mit mir. Sogar wenn ich nur den Rasen mähe, stehen welche von denen am Zaun und gucken blöde und wenn es dann knallt, sich auch noch beklagen. Wir können nichts anders, als die Messer wetzen, wir schlagen zurück, jetzt ist Schluss, freie Fahrt für freie Bürger und damit Ende.

Als der Herr kurz Atem holte, konnte ich mich endlich mit einem freundlichen Handschlag verabschieden. Er rollte sein Transparent ein, verstaute es sorgfältig in der Aktentasche, lüftete den Hut kurz zum Gruß, tippte sich verschwörerisch an die Hakennase, indem er zum Himmel zeigte, und stieg dann in die Straßenbahn ein. Ich hatte ihn nach dem Weg fragen wollen, weil ich mich in der Stadt verirrt hatte. Seine Erklärungen waren mir, überstürzt und zu undeutlich hatte er geredet, unverständlich geblieben, doch solange hatte ich mich jetzt schon durchgeschlagen, an die Sprache würde ich mich auch noch gewöhnen, dachte ich, als ich den Sternen nach, die kühl und unverrückbar glänzten, weiter durch die Nacht lief.

entschuldigung

Trakt.

Alle Minuten ging der Zug vorbei, unmöglich, sich zu konzentrieren; kaum hatte man die Vorstellungen, die das Heulen der Bahn auslöste, verdrängt – die müden Gesichter, das Schwanken in der Kurve –, da donnerten sie aus der Ferne frisch heran und die Pendler rasten durchs Zimmer, bis sie sich hinter der Mauer entfernten. Unmöglich, bei der Sache zu bleiben, auch weil längst unklar war, worin die Sache eigentlich bestand: Allein das festzustellen, hätte einer unmenschlichen Aufmerksamkeit bedurft, die der Zug jetzt abermals zerstört.

Dabei war es hier und jetzt an der Zeit, Rechenschaft abzulegen, doch jeder Satz, den man niederschrieb, er verlor sich sofort ins Ungefähre, sodass man lieber neu ansetzte, als dem Sinn des Geschriebenen nachzujagen, der sich schon vollständig zu verschließen drohte; ein Trost, dass all das nicht für die eigenen Augen bestimmt war. Doch was für ein Bild musste man abgeben, zerfahren, wie man nur sein konnte, den Kopf unendlich schwer auf den Tisch stützend, während die linke Hand noch übers Papier kratzte, die Rechte bald ohnmächtig ans Ohr gepresst, um dem Zug zu entkommen, der wieder durchs Zimmer rauscht.

Einzelne Buchstaben traten riesenhaft hervor und flogen im Sog des Zuges davon, so musste man bei der Aufzählung der eigenen Vorzüge in heilloses Durcheinander kommen, sofern man sich überhaupt noch erinnern konnte, man sollte sie hier durchdeklinieren, man konnte und wollte freilich alles, passte sich perfekt in jede Anforderung ein, es konnte nichts schiefgehen, die Weichen waren gestellt, jetzt sich nur noch über die Ziellinie retten, und doch ging es nicht weiter, mit letzter Not trieb die Zeile zum Ende hin, schließlich, mit aller aufgesparter Verzweiflung, setzten sich Unterschrift und Datum darunter, im Hinausstürzen, im plötzlichem Knall, zittert das Zimmer wie von einem gewaltigen Flügelschlag, der sich von welcher Mitte aus vom Boden löst.attraktion