Glanz und Gloria.

Da ich nun ein Fremder war in meinem Land, das nichts Fremdes mehr duldete, und als die Schlagzeilen über mir zusammenstürzten, musste ich die Flucht ergreifen. Schmutzige Riten griffen um sich und verfolgten mich bis in die wildesten Träume. Der Hass hatte seine geilen Finger im Spiel, man feierte die Schande, erst Platzregen und Knüppel trieben die Menschen von der Straße. Blankes Entsetzen beherrschte die Tagesordnung und bis zur Besinnungslosigkeit murmelte man die Versprechen, bis man sie beinahe zu glauben begann.

Und auch ich tastete mich mit rausgeschraubten Sicherungen durchs Leben. Vielleicht sollte ich meinem Sous-Chef morgen wirklich in den Schädel beissen, dachte ich in der Dämmerung, wenn der Lärm draußen mich wieder wach hielt. Im Halbschlaf gingen die Gedanken wildern, doch nichts geschah im Schlepptau der Tage. Dabei war an Bleiben, an Warten, nicht länger zu denken. Der Putz löste sich unaufhaltsam von der Decke, an allen vier Ecken rieselte der Altbau seinem Ende entgegen.

Ich flüchtete mich auf eine Insel, wo die Wellen ringsum mich beschützen würden. Meine Stellung hatte ich endgültig aufgeben müssen, und ging nun mit M. dorthin, wo sie Zuflucht zu finden hoffte. Es war ein ausgezeichneter Ort für einen Koch, das Essen war hier heilig. Meine Uniform gefiel mir gleich, der Kreuzgang im Nebel, der vom Fluss aufstieg, der dampfende Rasen. Wir richteten uns rasch ein. Bald war das Unbekannte, das uns jede neue Stadt verklärt, verflogen, bald klebte ringsum Erinnerung am Pflaster, wurden die Wege kürzer, das Viertel klaustrophobisch, die Augen stumpf und öde.

Dann wieder am Ende des Jahres war der Tag endlich gekommen. Vom goldenen Reif auf den Feldern, dem Aufriss der Weiden gegen den grauen Horizont begrüßt, den halb erfrorenen Obdachlosen in den Hauseingängen, machte ich mich ans Festmenü: Schottischer Lachs, rote Beete, Meerrettichrouladen, Pastinakencremesuppe, Italienische Wintertrüffel mit Apfel und Rübenchips, weiße Schokolade mit Kirschenmousse und Ingwerplätzchen. Nachdem all das notdürftig zubereitet war, atmete ich auf und stahl mich hinaus.

Von der Balustrade herab, hinter einer Säule verborgen, beobachte ich das Geschehen. Wie im Saal das Silber aufgetragen wird, man die Kerzen ansteckt, die Tannenzweige drapiert, die bunten Kronen aus Papier. Bald lässt die feuchte Kälte den Kristall am Tisch gefrieren. In den Pokalen klingen hell die Regentropfen, die rascher jetzt durchs Gebälk rieseln. Als dann die letzten Lieder aus der Kapelle verklingen, der Vorhang sich öffnet, kommen über den Hof die Schatten von Gewändern, M. inmitten, ihre leuchtenden Augen suchen mich, was sie finden, ist in Licht getaucht, heute würde das Warten einmal ein Ende haben.

glanz und gloria

M.emories.

m.emories

So ist es passiert. »Entschuldige, dass ich nicht rauche«, sagte M., und setzte sich auf meinen Schoß. Sonst war auch kein Platz mehr frei am Tisch. »Ich will nicht unhöflich sein.« Sie habe es zwar versucht, aber Zigaretten wollten ihr einfach nicht schmecken. Ich verzieh ihr das Unvermögen. M. war neu in der Stadt, sie wusste sich aber gleich zu benehmen. Ungefragt hatte sie uns Dornfelder bestellt und gleich am Tresen bezahlt. Wahrscheinlich war es schon in diesem Augenblick, dass mir der Gedanke gefiel, mich in sie zu verlieben.

Ich konnte meine Augen nicht von ihr nehmen, was ziemlich schwierig war, da sie die meiste Zeit auf meinem Schoß saß und ich nicht wie ein Irrer starren wollte. Sie bestand darauf, meine Zigaretten anzuzünden, ich blies den Rauch über ihre linke Schulter hinweg. Ich redete heillosen Unsinn und sie ließ es mich nicht merken. Dann irgendwann lächelte sie und sah mich an, als wollte sie damit sagen, dass sie mich ansah und lächelte. Es war ein magischer Abend, mit Schwestern und Brüdern für eine Nacht, und mit M. aus dem Nirgendwo.

Sie war aus gutem Elternhaus, mit den besten Manieren, von einer noch besseren Universität. Ich versuchte vergebens, sie zu beeindrucken, aber vielleicht gefiel ihr auch bloß die Art und Weise, wie ich mein Bestes verbergen wollte. Ich war ganz in ihrem Bann, nicht einmal sicher, ob sie nun landläufig schön war. Insgeheim ärgerte ich mich über meine blöde, wie irrsinnige Schwärmerei. Was wusste ich schon von ihr. Aber wie viel verrückter wäre es gewesen, sie später, unter dem Gejohle der Sterne, nicht zu küssen. Das also war unsere erste Begegnung.

Böse Blicke.

Dann, in der Dämmerung, sitze ich bei den Dämonen. Ich kletterte den Turm hinauf, hangle mich an den Wasserspeiern, an Hörnern, Bärten und Klauen entlang, niste mich schließlich ein in einer Nische zwischen den freundlichen Fratzen. Grimassen sind wir, Drachen, Affen, Monster aller Art. Hier ist unser Refugium, die letzte Zuflucht der Chimären. Auch diese Nacht wieder wird beherrscht von Übermut, es ist ein ewiges Necken, ein Jagen und Nachstellen. Ich kraule dem gurrenden Löwen die Flanke, der Hund zieht die Lefzen zurück, schnappt plötzlich nach dem Ziegenwolf, der panisch ausschlägt. Drüben wollen die Zentauren die Horde Affen abschütteln, der Faun zwickt den schlafenden Greif in die Schlappohren.

So ächzt es und stöhnt, es kracht und lärmt über den Dächern. Den Trinkern fallen die Würfel aus dem Bart, wilde Flüche steigen auf, als der Regen dann in Strömen kommt. Wir aber reinigen das Wasser, das vom Himmel fällt, lassen Blitz und Donner im Kanal verschwinden. Hier oben, allen abschätzigen Blicken verborgen, treiben wir unser Spiel. Unter uns der Marktplatz, wo sich am Brunnen gerade jemand in Ruhstand setzt mit einer Nadel bloß, wo die Schatten wanken. Sinnloses Spektakel im Schutz der Dunkelheit, das der kleine Affe spöttisch begleitet, bis die Sonne dann den letzten Stern auswischt.

Im Morgen gähnt drunten das Pflaster, blank und ebenmäßig. Die Kehrmaschine bürstet vor sich hin. Ein Rinnsal Unrat, Zigarettenkippen, Glas. Die Ratten flitzen in ihre Löcher zurück, als der Falke aufsteigt. Es entfaltet sich langsam die Geometrie der Schirme und Tische. Schwarz auf Weiß füllen sich die Tafeln mit Angeboten des Tages. Erste Besucher blinzeln gegen die Sonne, sinken auf die Stufen nieder. Der Brunnen ist schon stillgestellt und abgedeckt. Auch der nackte Leib, Stein des Anstoßes, ist im Museum hinter Glas verschwunden. Man hievt eben noch die frisch bescheinigten Leichen in den Lieferwagen, ehe sich der Vorhang ganz gehoben hat.

Die Bühne ist bereitet, doch steht der Drache senkrecht, regungslos in der Wand, auch der Ziegenwolf schnarcht schon, es ist kein Anblick für die Götter. Niemand macht sich drunten mehr die Mühe, sein Glück zu mimen, stur starrt man in seine Tasse. Die idiotischen Tauben drehen ihre Kreise zwischen den Stühlen. Man macht große Bogen um einander, duldet gerade noch die eigene Schwere. Das große Theater ist auf den Hund gekommen, ein schlampig inszeniertes Stück, und bald vergeht uns die Lust am Zuschauen. Nur der Faun tigert auf und ab, stürzt fast über die Brüstung, als er sich zu weit hinunterlehnt.

Der Faun, auf seine alten Tage hin nostalgisch: Es hat eine Zeit gegeben, da war man nicht zum Nichtstun verbannt gewesen. Nun aber scheint es, als ob der Turm mit jedem Jahr weiter in die Höhe wächst. Ein Glück, raunt der Greif. Bald werden sie auch uns abschaffen, die letzten Bilder des Lebens stürmen. Aber noch hüllt uns der Nebel ein, noch trägt der Wind unsere Verwünschungen ungehört fort in die Ebene. Doch nur ein verirrter Blick hinauf, ein erschrockenes Wort, und wehe uns. Da stützt auch der Affe den Kopf in die Hände, stiller werden wir, bewegungslos, mit leeren Augen erwarten wir das uns zugedachte Schicksal.

böse blicke