Nachts dagegen sammle ich eigentümliche Gegenstände von den Gleisen: So weit ist es mit mir gekommen. Und doch, das spüre ich, halte ich mich noch nicht am Äußersten auf. Stundenlang bin ich, sobald die Dunkelheit überhand genommen hat, unterwegs und sammle, was mir in die Finger kommt, von den Schienen auf. Und das alles, weil mir mein Schreiben furchtbar eingefahren erscheint.
Wenn es irgendwann zu dämmern anfängt, fahre ich gemeinsam mit den Pendlern von Ludwigshafen nach Heidelberg zurück. Jedes Mal bin ich wie überrascht, dass die Zeit schon vergangen ist, sie scheint mir, wenn ich den Blick so aufs Gleisbett gerichtet halte, nicht voranzuschreiten. Schwelle um Schwelle spüre ich den Dingen nach, als wären sie Tiere, die im Lampenschein ins Dickicht huschen.
Am Rheinufer breite ich feierlich meine Fundsachen aus: Manches ist vielleicht verloren, vieles weggeworfen. Die Spuren menschlicher Achtlosigkeit sind allgegenwärtig. Wie schön dagegen die rote Sonne, die endlich durch die Wolken bricht – Nachdem ich die Dinge sorgfältig angeordnet und sortiert habe, lasse ich noch ein paar flache Kiesel übers glühende Wasser schnellen, ehe ich mich wie befreit in Richtung Bahnhof wende.
Eine Geschichte in einem Zug niederzuschreiben, das ist mir schon lange nicht mehr gelungen. Meine Einsamkeit ist ungeheuer bisweilen, wenn ich nachts am Wald entlang gehe, an verlassenen Bahnsteigen, an den tausend Lichtern des Rangierbahnhofs, die überzeugender tun als die Sterne, vorbei. Erst wenn ich die Mannheimer Rheinbrücke überquere, ist es leichter in mir. Trotz der Dinge, die ich bei mir trage.
Ich denke unablässig ans Schreiben: Aber halte mich auf Entzug. Im Moment würde es mich nicht voranbringen, denke ich, eingepfercht zwischen den Menschen. Die Tauben ziehen ihre Bahnen, die Krähen begnügen sich, unterm eingefalteten Flügel hervorzulugen, und am Himmel die Gestalt der roten Wolken. – So klamm bin ich, was ich M. sagen soll. Ich ringe nach dem ersten Wort, mit dem ich den Roman endlich beginnen kann. Solange aber das erste Wort nicht spuren will, solange gehe ich nachts auf den Gleisen.
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Solange? Junge Literatur aus Heidelberg
Von der Qual des niederzuschreibenden Wortes – Danke Paul Fehm.
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bitte sehr!
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Soooo gerne lese ich hier :)
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danke sehr!
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Danke für die Worte, ein interessantes Eckchen hast du dir hier eingerichtet. Da du mir jetzt folgst, hoffe ich, dass dir meins auch weiterhin gefällt! :-)
Liebe Grüße
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Endlich mal ein Blogger, der Wert auf gute Texte legt, der auch super schreiben kann und keine Fehler in jeden Halbsatz haut. Das ist Balsam für unsere Schreiber-Seele. Good job ;-)
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Hab vielen Dank. Weiterhin viel Vergnügen beim Lesen …
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Kurzer Text, aber viel Gewicht drin! Echt gut! Können nicht viele so schreiben. Habe früher viel und auch dicke Bücher gelesen. Aber jetzt finde ich das nicht mehr so interessant. Oder habe es verlernt vor lauter digitaler Ablenkung, die man ja heutzutage ja in aller Form hat. Und so habe ich auch nicht mehr die Muße mal ein richtig gutes Buch oder so zu lesen. Aber echt stark! Habe mir schon viele Blogs angeschaut. Finde sie meist aber wenig nützlich! Aber das hier scheint was Anderes zu sein. Werde bestimmt gerne mal ab und zu hier so ein wenig abtauchen!
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Vielen Dank! Vielleicht kommst du ja jetzt ja wieder mehr zum Lesen …
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Danke für eine gedankenschwere Reise durch die Nacht, die mir heute die Kissen aufgeschüttelt hat für einen leichten Schlaf.
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Schöne Träume!
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