Trakt.

Alle Minuten ging der Zug vorbei, unmöglich, sich zu konzentrieren; kaum hatte man die Vorstellungen, die das Heulen der Bahn auslöste, verdrängt – die müden Gesichter, das Schwanken in der Kurve –, da donnerten sie aus der Ferne frisch heran und die Pendler rasten durchs Zimmer, bis sie sich hinter der Mauer entfernten. Unmöglich, bei der Sache zu bleiben, auch weil längst unklar war, worin die Sache eigentlich bestand: Allein das festzustellen, hätte einer unmenschlichen Aufmerksamkeit bedurft, die der Zug jetzt abermals zerstört.

Dabei war es hier und jetzt an der Zeit, Rechenschaft abzulegen, doch jeder Satz, den man niederschrieb, er verlor sich sofort ins Ungefähre, sodass man lieber neu ansetzte, als dem Sinn des Geschriebenen nachzujagen, der sich schon vollständig zu verschließen drohte; ein Trost, dass all das nicht für die eigenen Augen bestimmt war. Doch was für ein Bild musste man abgeben, zerfahren, wie man nur sein konnte, den Kopf unendlich schwer auf den Tisch stützend, während die linke Hand noch übers Papier kratzte, die Rechte bald ohnmächtig ans Ohr gepresst, um dem Zug zu entkommen, der wieder durchs Zimmer rauscht.

Einzelne Buchstaben traten riesenhaft hervor und flogen im Sog des Zuges davon, so musste man bei der Aufzählung der eigenen Vorzüge in heilloses Durcheinander kommen, sofern man sich überhaupt noch erinnern konnte, man sollte sie hier durchdeklinieren, man konnte und wollte freilich alles, passte sich perfekt in jede Anforderung ein, es konnte nichts schiefgehen, die Weichen waren gestellt, jetzt sich nur noch über die Ziellinie retten, und doch ging es nicht weiter, mit letzter Not trieb die Zeile zum Ende hin, schließlich, mit aller aufgesparter Verzweiflung, setzten sich Unterschrift und Datum darunter, im Hinausstürzen, im plötzlichem Knall, zittert das Zimmer wie von einem gewaltigen Flügelschlag, der sich von welcher Mitte aus vom Boden löst.attraktion

2 Kommentare zu “Trakt.

  1. Lieber Paul, wenn ich diesen Beitrag lese, habe ich eine männliche Stimme im Kopf. Allerdings kann ich nicht sagen, wessen Stimme es ist. Es erinnert etwas an Hannes Wader (Sänger), aber doch irgendwie nicht.

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  2. Dein schöner Text erinnert mich an den Moment, kurz vor dem Eischlafen, bei dem ich an einem Buch arbeite und jeder gute Gedanke in einer Endlosschleife an meinem inneren Auge vorbei zieht, ich ihn interessiert dabei beobachte, auf den nächsten Einfall warte und dann die erste Idee wieder meinen geistigen Bahnhof passiert, bis Wirklichkeit und Traum miteinander verschmelzen – danke schön.

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