Ich habe lange nichts geschrieben, ich habe lange nicht gelebt. In meiner eigenen Wohnung war ich gefangen: Die Welt lag einladend da draußen und umso freundlicher sie mir schien, desto hartnäckiger schlug ich sie aus. Etwas in mir war verschoben gewesen die letzten Wochen; etwas, was nur langsam wieder ins Lot kommt.
Meine Abneigung gegen das Leben verstärkte sich damals in ungeahntem Maße, als ich zusehen musste, wie mein Glas – ich hatte endlich Halt im Winkel meines Zimmers gefunden – unaufhaltsam in die gegenüber liegende Ecke rutschte. Mein Haus am Waldrand ist schief vom Wind: Nichts bleibt an seinem Platz, alles ist in einem permanenten Prozess des Verrutschens inbegriffen.
Selbst mein Haus ist nun nicht mehr dort, wo es sein sollte. Schon als ich mich die Woche vor meiner Gefangenschaft nachts durch die Gassen gekrümmt hatte, hatte ich es lange suchen müssen. Es wechselte in diesen Tagen ständig seinen Standort, nur um mich zu schikanieren. Ich bin ja vieles gewohnt, nun macht sich aber sogar mein eigenes Haus über mich lustig. Auch die Möbel kommen und gehen. Mal ist der Tisch da, wenn ich eintrete, mal lächeln mich bloß die Dielen schief an. Die Bilder an der Wand tauschen ihre Plätze nach Belieben, von den Büchern will ich gar nicht erst reden.
Warum alles so schräg ist, ist schwer zu sagen. Ich denke bei Scotch und Schmerztabletten darüber nach. Vielleicht liegt es an meinem Gespür für das Haltlose der Dinge und der Menschen, dass ich nirgendwo Wurzeln geschlagen habe gegen das Forttreiben. Manchmal liege ich auf dem Boden und übe die Bewegungslosigkeit, und doch schießen die Neuronen ständig neu zusammen und bilden immer neue, irre Konstellationen.
Ich und die Welt, wir entgleiten einander. Und doch gebe ich jetzt dieser Neigung nicht mehr nach. Ich verändere meinen Blickwinkel, ich finde Halt an den Kanten der Gegenstände, ich taste mich aus der Wohnung heraus, ich begrüße das Licht, das zwischen meinen Fingern hindurch fällt. Ich ziehe Zeitung um Zeitung aus dem Briefkasten. Zwischen Koma und Amok liegt nur eine Umwendung, lautet die Schlagzeile.
Ein schöner Text. Sofern das schiefe Waldhaus eine Tatsache und keine Metapher ist, würde ich mich von einem Ingenieur beraten lassen: Stützen, Heben und neue Fundamente gießen.
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Ein neues Fundament kann ich mir zum Glück nicht leisten.
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Bämmm…Klatsch..dein Text haut mir grad so ein Eisenbrett vor den Kopf. Wie bekannt mir das ist. Und wie bekannt mir das Gefühl des Nachgebens ist. Und wie häufig es mir ebenso geht. Und die Kraft die es braucht um dort rauszukommen. Da ist die Erklimmung des Mount Everest einfacher. Und ich weiß, würde ich nicht mit meinen Kindern leben, die mich zum Aufstehen, zu einigermaßen Struktur quasi zwingen, würde das Loch, die dunkle Gedankenwelt mich völlig verschlucken. Den der sanfte Schleier der Dunkelheit ist einladend und steht immer bereit mit offenen Armen…
Ja, du bist nicht alleine. Und dein letzter Absatz macht dennoch Mut. Es kommt doch ein Licht. Man muß ihm nur folgen. Egal wie schwer es manchmal ist…
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Das Licht ist immer da, man muss ihm nur die Augen öffnen.
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Ich beneide Dich nicht um Deine Verfassung und wünsche Dir einfach, dass Du schnell einen Ausweg findest. So etwas wünscht man niemandem.
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Ich bin schon wieder draußen. Danke sehr.
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Du hast wunderbare poetische Worte für ein wirklich schwer zu ertragendes Gefühl gefunden!
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Danke dir. Ein ertragreiches Gefühl.
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Ja, auch das ist es.
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Auch ich kenne dieses Gefühl, diese Situation. Es ist nicht einfach da raus zu kommen. Ich wünsche dir ganz viel Kraft, damit es dir bald wieder besser geht.
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Ebenso!
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Das ganz-und-gar-nicht Gute mehr als gut auf den Punkt gebracht.
Das Seltsame daran: Es tut gut, solch einen Text zu lesen.
Und wieder einmal: Schreiben schafft eine Verbindung zur Welt, auch noch und gerade, wenn diese zu zerbröseln droht.
Das wissen hier viele.
Mach weiter! Es lohnt sich!
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Schreiben, um nicht fortzutreiben!
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So stark und klar und messerscharf.
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Vielen Dank. Ich sehe jetzt auch wieder klarer.
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Ich bin oft draußen. Vielleicht glaube ich ja deshalb, den Text so gut verstehen zu können. Danke schön.
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Herzlichen Glückwunsch zum inneren Umzug,
Frida
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Wunderbar klug. Nicht nur der letzte Absatz. Und mutig auch.
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