Mascha – Teil 1.

Wie am Meer stehst du, das unmerklich, doch mit furchtbarer Gewalt, sich zurückzieht, dir den Sand zwischen den Zehen fortträgt, wie in der Brandung, die dir den Stand streitig macht, dachte sie, als ihr der Wind durchs Haar strich. Es war ein schwüler Wind am Fluss, der spürbar nun durchs Tal ging.

Vielleicht aber lag es an eben dieser Erschöpfung, dass ich mich habe einfangen lassen, dachte sie, vielleicht war es diese Müdigkeit, die mich wehrlos machte, sodass sein Blick in mich konnte. Und nun ist sein Bild wie in die Netzhaut eingebrannt. Die kräftigen Hände, die pechschwarzen Haare, die leuchtenden Augen. Das ist ein deutliches Zeichen.

Du solltest jetzt nicht alleine nach Hause gehen, diesen endlos langen Weg den Fluss entlang, der schwärzer und nur schwärzer wird, auf der Brücke bleibst du immer länger und wie in Gedanken stehen, du solltest nachher auch nicht alleine in der Wohnung sein, die sich in dieser Dunkelheit unabsehbar weitet, flüsterte sie den Fluss hinab.

Endlich daheim angekommen, stellte sie das Radio an, nur um Menschen zu hören, dann noch den Fernseher und schließlich die Musik. So leer und dunkel war die Wohnung, was wenn jetzt ein Kopf auf diesem Kissen läge, oder es ginge ein leises Atmen durch den Raum. Oder jemand riefe »Mascha, Mascha« aus dem Badezimmer. –

Ich bin Paul, hatte er gesagt, als ob sie das nicht wüsste. Nach der Lesung hatte sich der Raum rasch geleert. Unschlüssig hatte sie noch in Pauls zum Verkauf bereitliegenden Bänden geblättert. »Ich bin Mascha«, hatte sie gesagt, und da saß sie plötzlich mit Paul Fehm auf der Fensterbank und sah verlegen in die Nacht hinaus. Wie sollte sie ihm auch erklären, welch schöne Unordnung seine Worte in sie gebracht hatten. Solange Paul gelesen hatte, war alles andere wie vergessen gewesen.

Beim ersten Mal hatte sie eine Kundin noch vorm Fallen bewahrt, beim zweiten Mal aber stürzte sie und schlug sich die Stirn an der Theke auf. Sie lag, und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in schwarzem Blut wie in einer warmen Welle, bis beim Erwachen der Schmerz kam, und die erschrockenen Gesichter über ihr.

Als fiele sie seitdem in sich selbst hinab, ins Bodenlose, und kein Netz und kein Arm war da, um sie aufzufangen. Mascha ließ sich, weil ihr Chef sie dazu drängte, eine Woche krankschreiben. Die Ruhe in der schon vorsorglich halb geleerten Wohnung aber ertrug sie nicht. Und so war sie kurzentschlossen auf die Lesung von Paul gegangen, von dem schon so viele erzählt und geflüstert hatten. –

Hatte die Umarmung zum Abschied vorhin nicht diesen einen Moment länger gedauert, als sie hätte dauern sollen? War sie nicht etwas zu nahe, innig und lange gewesen? War das nicht schon Zeichen genug? – Andererseits, was wusste sie schon über Paul? Das, was so geredet wurde, aber geredet wurde viel. Das konnte alles und konnte nichts bedeuten.

Nach wenigen Klicks fand sie Pauls Blog, den sie Eintrag für Eintrag las. Plötzlich erschien dort ein neuer Text: »M. im Mondlicht«. Mit hastig klopfendem Herz, sodass die Buchstaben erst nach und nach ihre Konturen wieder erlangten, begann sie zu lesen.

Paul geht mit M. durch den Wald. Es regnet leicht, die Wege sind aufgeweicht. Auf dem Rückweg stürzen sie beide und sind über und über mit rotem Schlamm bedeckt. Sie geht im winzigen Badezimmer unter die Dusche. Draußen verdunkelt der Wald. »Mit roten Wangen, wie neugeboren stand sie vor mir.« Und dann: »meine Hand ihr durchs Haar, die Schläfen aufschreckend, und zuletzt Kopf in Kopf versinken.«

Hatte nicht der Mond besonders hell geschienen, als sie so am Fenster gesessen waren? Und hatte seine Hand nicht wie unabsichtlich ihr Haar berührt? Da rutschte ihr der Kopf fast aus den Händen auf die Tischplatte. Und war da nicht in seinem Blick etwas gewesen? Etwas von diesem Leuchten? Und nun noch dieses deutliche Zeichen, das er ihr schickte.

Als der Schwindel sich gelegt hatte, zog sie sich langsam an. Es tat ihr gut, wie der Regen in kleinen unsichtbaren Tropfen sie berührte. Der Mond stand groß zwischen den Hügeln. Wieder ging sie am Fluss entlang, die leere Kastanienallee, schließlich eilig über die nasse Wiese. Ein Schwan trieb wie leblos auf dem Wasser.

Sie verließ die Hauptstraße und lief parallel zum Wald durch die Gassen an riesigen Häusern vorbei. Vereinzelt irrten Taxen durch die Nacht oder ein Hund schlug an. Sie befühlte immer wieder den Zettel in der Tasche. Pauls Adresse hatte sie im Impressum des Blogs gefunden. Er hatte sie eigens für Mascha dort hinterlegt. –

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Teil 2 folgt in Kürze.

17 Kommentare zu “Mascha – Teil 1.

  1. Wunderbar zu lesen, M. seltsamvertraut, eine Tochter, geboren aus chaotisch anmutenden Sehnsüchten? Mitnichten.
    Mascha ist wie die Liebe- sie ist einfach und sie ist zutiefst lebendig, komprimiert auf ihren engen Raum, den größtmöglich ökonomisch denkend sie auszudehnen gedenkt.
    Sie denkt zu viel?
    Masche ist ein Rätsel.
    Gespannt auf Teil zwei,

    Einen lieben Gruß
    von der Karfunkelfee

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  2. Wohl auch darum gut zu wissen, dass Texte Texte sind und Schriftsteller nicht unbedingt immer Bezug nehmen auf jemand einzelnen, bei meinen Texten oftmals viele Einflüsse einen neuen Charakter entstehen lassen.
    Sachbezogenheit, der Phantasie zu Füßen gelegt, ergibt Neues, im besten Fall etwas neues Eigenes.
    Die Abstraktion ist eines Schriftstellers mit wichtigstes stilistisches Instrument.

    P.S. Gruss im Nachgedankengang zu Puzzleblumes Hinweis, ein wichtiger, finde ich.

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  3. ’nabend Paul,

    zierlichen Dank für die gute Geschichte und das Folgen. Ich wünsche alles erdenklich Gute für Dein Blogprojekt!

    Liebe Grüße

    Christiane (Paula Grimm bei Texthase Online)

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  4. Ich kam zu schauen, wer die unverhoffte Person war, die ganz still und heimlich -unbemerkt- in meine Welt getreten war, und beim Verlassen kurzerhand die Tür einen Spalt offen ließ, eine Spur hinter sich her legend.
    Eine schöne Einladung, die mich an einen wundersamen Ort: hierher brachte.
    Welche wundervoller Text, welch ganz eigene Stimmung, geheimnisvoll und schön.
    Danke für Dein Follow, woher es auch plötlich kam. Ich erwidere, wenn Du erlaubst.
    Danke für deinen Wegweiser hierher.
    Ein bisschen werde ich wie sie sein und hier nun alles gierig lesen. Ich bin schon ganz gespannt, wie es weitergeht!

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  5. BÄM,genial!
    Was für eine Idee! Haha, zuerst dachte ich: schon ein wenig selbstverliebt, aber das ist inzwischen zweitrangig :D
    Du hast echt einen tollen Stil, ich liebe deine Sprache und Dynamik!
    Ja und all diese Gedanken die Mascha hat treiben mich zur Zeit auch um und es ist wirklich ein bissl so ähnlich wie hier in deinem Text.
    Schön! Sehr sehr schön!
    Auf nach Teil 2 ;)

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