Hackordnung.

Da hätt ich doch fast auf die Tonne voll von Essensresten gekotzt. Der andere Hilfskoch hat sie beim über-die-Treppe-heben aufschlagen lassen, so das mir der Hauch wie eine Faust in den Magen fuhr: eine Woche halbe Steaks, abgenagte Hühnerknochen, Garnelen in Curry-Sauce und Beilagen, Beilagen, Beilagen. Nun ja, als die Tonne draußen platziert war, hat mich der Chef angeschrien: »Hä, Achim, was ist los, war der Herr Student zu dumm, um das Fleisch in das richtige Eisfach zu packen?« – Die Rechtschreibung ist hier natürlich verbessert.

Jetzt macht er mich noch fertig, wenige Minuten später wird er mir wieder erzählen, dass ich eine viel bessere Küchenhilfe sei als der andere, der heute nicht da ist. Er wird dem anderen dasselbe erzählen, wenn ich nicht da bin, nur werden er und ich dabei die Rollen tauschen.

Woher ich das weiß? Einfache Beobachtung des Menschen in seinem spezifischen sozialen Umfeld. Abwechselnd ist der eine oder der andere Koch Chef der Küche und einer macht dem anderen in seiner Abwesenheit Vorwürfe für alles, was falsch läuft. Die nicht geschälten Kartoffeln, die nicht vorgekochte Bolognese, die ungeschnittenen Champignons … und wenn sie zusammentreffen, sind sie die besten Freunde, alte Kollegen, und voll Verständnis für jede Unterlassung des anderen, denn man kennt den Stress in der Küche und weiß, wie leicht man da etwas vergessen kann.

Auch der Rest der Belegschaft ist nicht anders. Der je arbeitende Barkeeper und die je arbeitende Kellnerin sind der oder die beste, solange sie da sind, und sie selbst wiederum wissen endlos viel Unschönes über ihren Kollegen zu sagen, bevor sie ihm lächelnd auf die Schulter schlagen oder ihr quietschend um den Hals fallen, wenn sie herein kommen.

So halte ich jedes Kompliment für eine Lüge und ekle mich. Ekle mich, aber lüge doch selbst, was das Zeug hält, der Aufnahme wegen. Sich in die Gruppe zu integrieren ist wichtig; und ich tue es mit schlechtem Gewissen. Der andere ist ein fleißiger und freundlicher Mensch, der mir nicht selten aushalf.

Aber er ist nicht da, ich dagegen schon und ich muss klar kommen mit dem Koch, den Kellnerinnen und dem anderen Gehilfen. Was sollte es ihm schaden? Ist ja nicht so, dass jemand sich merken würde, was einer vom anderen gesagt hat. Lüge und Verleumdung sind hier mehr gutturale Urlaute, die wir ausstoßen, um unsere Position in der Gruppe zu sichern; keiner könnte deswegen den Kopf des anderen fordern!

»Das Fleisch hat der Dingens in die hintere Kühltruhe getan, nicht ich! Der hat es doch nie fertig gebracht, sich die Lageraufteilung zu merken.« Und dabei weiß ich noch, wie ich da stand und mich fragte, wohin die Schweinerücken bloß kommen.

Die Tonne für die Essensreste ist leer; es stinkt nicht mehr, da wo ich arbeite, nur einen Schritt von ihr entfernt, doch mir drückt es zuweilen den Magen zusammen. Ich kratze zwei halbe Lendchen in die Tonne, wo sie laut auf dem Boden aufschlagen. Ich nehme das große Messer zur Hand, ziehe die Kiste Kohlköpfe zu mir und nehme einen heraus. Mit einem einzigen Schnitt zerteile ich ihn. Dann halte ich die beiden weiß und rot marmorierten Hälften in den Händen und folge den Linien für einige Augenblicke, bevor ich sie in die mechanische Reibe presse.

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